Fast wie über der Eiger Nordwand schweben – Free-Solo-Begehung der Eiger Pilz Highline
Über der westlichen Nordwand des Eigers ragt von Weitem sichtbar auf 3219 m ü. M. ein freistehender Felsturm empor, der als Pilz oder Mushroom bezeichnet wird. Eine bekannte Kletterroute (Magic Mushroom, 7c+) führt vom Stollenloch auf den Pilz. Unter Basejumpern gilt der Pilz als beliebter Absprungpunkt.
Diese aussergewöhnliche Felsformation in der legendären Eiger-Nordwand fasziniert mich seit ich vor fünf Jahren das erste Mal ein Bild davon gesehen habe. Einige Jahre später habe ich begonnen mir Gedanken darüber zu machen, ob es wohl möglich wäre, dort eine Highline zu spannen. Weil beim Spannen einer Slackline ungleich grössere Kräfte auftreten als bei einem Klettersturz, machte mir dabei der berüchtigte Fels am Eiger Sorgen, welcher oft von schlechter Qualität ist. Der Felskopf des Pilzes besteht aus lauter dünnen Schieferplatten, welche ihm seine runde, erodierte Form verleihen. Schaut man sich Fotos vom Pilz an, könnte man meinen, auch der schmale Sockel bestehe nur aus lose aufeinanderliegenden Platten und der ganze Felsturm bricht nächstens zusammen.
Bei näherer Betrachtung vor Ort hat sich diese Sorge zu meiner Erleichterung als unbegründet herausgestellt. Der untere Teil des Pilzes ist gut verwachsen und alleine wegen seinem massiven Eigengewicht war ich überzeugt, dass er einer Slackline standhalten würde. Zudem fanden wir ausreichend kompakte Stellen im Fels für Bohrhaken.
So machte ich mich Mitte August mit Johannes Olszewski, Roland Schlott, Reto Grätzer und Jonathan Baumann daran, die erste Highline am Pilz zu spannen. Wir mussten mehrmals den Eiger hochsteigen, bis wir alles Material von unserem Basislager oben hatten. Weil wir nicht jeden Abend die 1000 Höhenmeter absteigen wollten, richteten wir uns in der Westflanke ein Biwak ein. Der Aufbau verzögerte sich wegen dem anfänglich schlechten Wetter. Jeweils mittags bildete sich in der Nordwand dichter Nebel und schränkte unsere Sicht auf wenige Meter ein.
Die Freude war gross, als wir zwei wunderschöne Highlines aufgebaut hatten. Wir spannten beide mit einem 25 mm breiten Flachband, das wir mit einem Seil untersicherten. Die eine Highline verlief von der äusseren Kante an der Oberseite des Pilzes zu einer kleinen Felsnase, die in 18.5 m Entfernung aus der Nordwand ragt. Eine zweite, knapp doppelt so lange Highline, konnten wir etwa 40 m weiter unten zu einem vorstehenden Zacken der Westflanke spannen. Beide Lines übertrafen unsere kühnsten Erwartungen! Keine andere Highline, die ich je gesehen habe, beeindruckte mich dermassen durch ihre Ausgesetztheit. Die schroffe Nordwand und der markante Pilz machen den Highline-Spot zu einem der schönsten und spektakulärsten zugleich.
Noch am selben Tag gelang mir trotz bereits dichtem Nebel auf Anhieb die Erstbegehung der oberen Highline. Am Tag darauf konnte sie Johannes als Zweiter in beide Richtungen gehen und mir gelang dasselbe bei der unteren Highline.
Weil wir noch über genügend Proviant verfügten und sich die Wetterprognosen für den nächsten Tag überraschend verbessert hatten, entschlossen wir uns, einen weiteren Tag am Eiger zu verbringen. Beim Abstieg zum Biwak reifte in mir der Gedanke, den zusätzlich gewonnenen Tag für eine Free-Solo-Begehung der Eiger Pilz Highline zu nutzen. Noch erzählte ich niemandem von diesem Vorhaben, um mich nicht unter Druck zu setzen. Nur wenn am nächsten Tag auch alles stimmen würde, wollte ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen. Ich würde eine gute Sicht, genug Vorbereitungszeit und vor allem eine körperliche und geistige Tagesform benötigen, welche diese Begehungsart zulässt.
Alleine die Vorstellung, rund 1000 Meter über der Eiger Nordwand ungesichert über eine Slackline zu gehen, fand ich unheimlich faszinierend, weswegen ich diese Nacht lange nicht einschlafen konnte. Eine Free-Solo-Begehung, das ist für mich das absolute Gefühl von Freiheit. Das Sich-Einlassen auf die Ausgesetztheit hat nichts mit Todessehnsucht zu tun, sondern bringt im Gegenteil eine Erfahrung von höchster Lebensintensität. Es geht darum seine eigene Angst zu überwinden und eine gefährliche Situation kontrolliert zu meistern.
Noch vor einem Jahr konnte ich selber nicht nachvollziehen, wie jemand ungesichert über eine Highline gehen kann. Erst später, nachdem ich meine technischen und mentalen Fähigkeiten auf der Highline stark verbessert hatte, wurde mir bewusst, dass eine Highline genau so sicher Free Solo begangen werden kann wie eine Kletterroute, wenn man sich ausreichend darauf vorbereitet. Für mich ist in diesem Zusammenhang besonders wichtig zu wissen, dass ich bei einem Sturz jeweils das Band fangen kann. Diesen Reflex habe ich mir über die letzten Monate antrainiert.
Klar bleibt eine solche Begehung gefährlich und man setzt sich einem unnötigen Risiko aus. Genauso setzt sich aber jeder einem unnötigen Risiko aus, der als Bergsteiger unterwegs ist. Entscheidend ist, dass man die entsprechenden Fähigkeiten mitbringt und die Verhältnisse passen, damit das Risiko kalkulierbar bleibt.
Am nächsten Tag wurden wir tatsächlich mit dem besten Wetter belohnt. Das erste Mal seit Tagen bildete sich kein Nebel in der Nordwand und wir hatten klare Sicht auf Grindelwald. Wir richteten die Eiger Pilz Highline nochmals neu ein, so dass sie perfekt gespannt und exakt horizontal war. Die nächsten zwei Stunden nutzte ich für Trainingsläufe. Um ein besseres Gefühl für die Eigenheiten dieser Highline zu erhalten, lief ich zuerst mit Bergschuhen, bevor ich in meine bewährten Adidas-Turnschuhe wechselte. Erst als ich sicher war, dass wirklich jeder Bewegungsablauf sicher sitzt, war ich bereit.
Nach einer Pause überlegte ich mir nochmals alles genau. Dann band ich mich aus meinem Sicherungsseil aus und setzte mich auf die Highline. Ich war völlig ruhig, atmete noch einmal tief durch und stand schliesslich langsam auf. Nun fokussierte ich mich voll und ganz auf das schmale Band unter meinen Füssen und die Bewegungen meines Körpers. Meine Körperkontrolle war in diesem Moment so intensiv, dass ich das Gefühl hatte, jeden Muskel spüren zu können. Meine Umgebung nahm ich gleichzeitig mit grosser Aufmerksamkeit und doch selektiver als sonst wahr. Das Bewusstsein, dass ich mich mehrere hundert Meter ungesichert über dem Boden bewegte, war stets präsent und führte dazu, dass ich angespannter war als bei den Übungsläufen zuvor. Ich vermied jede unnötige Bewegung. Schnell fand ich aber in den gewohnten Rhythmus und erreichte ohne Zwischenfälle die andere Seite.
Für einen kurzen Moment setzte ich mich auf das Band und bereitete mich auf den Rückweg vor. Ich wusste, die nächsten paar Schritte würden die schwierigsten sein, weil es mir bisher noch nie gelungen war, auf dieser Seite von Beginn weg ruhig zu gehen. Ohne lange zu zögern machte ich mich bereit für den Weg zurück. Trotz einem ruhigen Sitzstart musste ich mich danach zweimal etwas zur Seite strecken um die Balance halten zu können. Dabei zog ich für einen Augenblick in Erwägung, das Band frühzeitig zu fangen. Kurz darauf konnte ich die Line jedoch wieder beruhigen und meinen Lauf fortsetzen.
Behutsam setzte ich einen Fuss vor den anderen. Das Band liess sich mit jedem Schritt besser kontrollieren und verlangte gleichzeitig weniger Aufmerksamkeit von mir. Mein Blickfeld erweiterte sich und es drangen wieder mehr Reize zu mir durch. Ich nahm die gewaltige Nordwand wahr, die nur wenige Meter neben mir steil abfiel und genoss die Vorstellung, inmitten dieser eindrücklichen Szenerie beinahe in der Luft zu schweben.
Als ich nur noch ein paar Meter vom Ende entfernt war, wurde mir bewusst, dass ich mein Ziel in Kürze erreicht haben würde. Es schossen mir eine Menge Gedanken durch den Kopf, die ich zu unterdrücken versuchte. Aus Erfahrung wusste ich, dass zu viele Gedanken auf der Highline oft einen Sturz zur Folge haben.
Als ich es endlich geschafft hatte und wieder auf dem Pilz stand, wurde ich von Emotionen und Gedanken übermannt. Die Gefühle waren so überwältigend, dass ich mich für einen Moment hinlegen musste. Die ganze Anspannung der letzten Woche fiel von mir ab und ich war überglücklich, mir diesen Highline-Traum erfüllt zu haben.
Seither denke ich immer wieder an dieses intensive Erlebnis am Eiger zurück. Die Suche nach Grenzerfahrungen hat sicher auch damit zu tun, dass einem die Erinnerung daran noch lange begleitet und man im Nachhinein daraus viel Kraft schöpfen kann. Dies wird mit ein Grund für den Reiz des Bergsports im Allgemeinen sein, wo das Überwinden von Grenzen schon immer eine zentrale Rolle gespielt hat. Um mehr Freiheit zu erlangen ist es manchmal nötig, sich über Grenzen, auch solche die nur in unseren Köpfen existieren, hinwegzusetzen. Jeder sollte für sich selber entscheiden, welche Risiken er dafür eingehen kann und will.
am 25. Februar 2010 um 10:47 pm Uhr.
herzliche gratulation und danke, dass du diese erfahrung mit uns teilst. hut ab!
am 26. Februar 2010 um 8:53 am Uhr.
unglaublich! wahnsinn! mutig! siebä siäch! ;) Hut Ab!
am 26. Februar 2010 um 5:40 pm Uhr.
man find das echt spannent,ist wohl ein ganz eigener kick,aber nicht zu leichtsinnig werden und immer gut aufpassen leben und tot sind oft sehr nah beisammen…viel glück alles gute
am 12. April 2010 um 1:11 pm Uhr.
ich habe erpelpelle ohne ende bekommen.ich gratoliere dir zu deinem erfolgreich absolvirtem projeckt,und wünsche dir fiel glück für deine nechsten projeckte.
am 10. Mai 2010 um 8:22 am Uhr.
Hei Bärnhard!
Du bisch doch wahnsinnig! ;-) Scho ds Korsika hani dänkt sigsch nid ganz butzt. Aber das überbietet jetz mini ärgschte bedänke..
I gratuliere Dir zu däm Erfolgserläbnis! I mah Dirs gönne und wünsche Dir no witeri Erfolg!
Aus guete und bis gli wider mau!
Mättu
am 10. Mai 2010 um 4:30 pm Uhr.
Heieiei
ganz deftig giu, witr so u häb trotzdäm sorg zu dir
am 3. Juli 2010 um 12:00 pm Uhr.
Wow, super den Bericht dazu zu lesen. Beeindruckend!
am 12. Januar 2011 um 4:52 pm Uhr.
Hallo, sehr beeindruckend, eine unglaubliche mentale und sportliche Leistung. Aber trotzdem: welch ein Leichtsinn! Auch wenn Du alles beherrschst, eine Unwägbarkeit kann Dich leicht in den Tod stürzen. Bedenke: Du vernichtetst möglicherweise außem Deinem Körper damit auch einen wichtigen Teil unserer Gesellschaft, was tutst Du Deinen Eltern, Freunden, Deiner Freundin, Deinen Bewunderen an! Das alles nur damit Du einen Adrenalin-Kick erlebst. Ich wünsche mir sehr, Du machst so etwas nie wieder!! J.
am 22. März 2011 um 11:18 am Uhr.
Lieber Bernhard,
eben habe ich Dir auf einer anderen Seite geschrieben.Um sicher zu gehen, noch einmal.
Bitte antworte doch noch einmal auf meinen letzten Brief.
Ich hoffe sehr, es geht Dir gut.
Liebe Grüße, Jörg
am 22. März 2011 um 6:50 pm Uhr.
Hallo Jörg,
leider kann ich den Text nicht finden, den Du mir zu diesem Bericht geschrieben hast. Möglicherweise wurde dieser nicht übermittelt. Auch die von Dir angegebene eMail-Adresse scheint nicht zu funktionieren. Könntest Du den erwähnten Text nochmals schreiben?
Lieben Gruss,
Bernhard