Supervisor
Diesen Winter Eis zu finden ist kein leichtes Unterfangen. Im Berner Oberland ist wegen den warmen Temperaturen kein einziger lohnenswerter Eisfall zusammengewachsen. Etwas bessere Verhältnisse wurden uns aus Österreich zugetragen. Einer der Hotspots für längere Eisfälle ist die Eisarena im Salzburgerischen Gasteinertal. Dort reiht sich eine Superroute neben die andere. Der bekannteste und massivste Eisfall sei in guter Kondition, wurde berichtet. Er ist knapp 300 m hoch und bekannt unter dem Namen «Mordor» (WI5). Gleich daneben befindet sich «Supervisor» (WI6), angeblich einer der schönsten Eisfälle in Österreich, der nur selten gute Verhältnisse hat.
Es war eine kurze Nacht, denn wir wollten bereits bei Dämmerung losmarschieren um als erste Seilschaft «Mordor» klettern zu können. Doch offenbar waren wir nicht die einzigen mit diesem Plan. Auf dem Parkplatz standen bereits Autos aus Österreich, Tschechien, Deutschland und Kroatien. Weil wir beim Zustieg eine Abzweigung verpassten, wurden wir gleich noch von einer weiteren Seilschaft überholt.
Tatsächlich kletterte bereits eine Seilschaft in «Mordor», als wir dem Fall näher kamen. Eine weitere stand am Einstieg und machte sich parat. Für uns hiess das, dass wir uns nach einer Alternativen umsehen mussten. Allerdings gab es davon nicht viele. Die zwei Eiskletterer, welche uns auf dem Weg überholt hatte, wollten sich Supervisor daneben anschauen. Dieser sah von Weitem tatsächlich machbar aus, wobei man wegen dem Nebel nur die erste Seillänge sehen konnte. Gegen das Vorhaben sprach, dass die Route angeblich die letzten zwei Jahre nicht geklettert werden konnte und auch diesen Winter noch niemand drin war.
Von Nahem sah die erste Seillänge von «Supervisor» weitaus schlechter aus als erhofft. Es gab nur eine dünne Schicht Eis und es war fraglich, ob man Zwischensicherungen anbringen konnte. Die zwei anderen Entschieden sich deshalb in Mordor einzusteigen, so dass wir «Supervisor» für uns alleine hatten. Das war doch immerhin ein guter Anfang, auch wenn wir noch nicht wussten, ob die oberen Seillängen auch kletterbar sein würden.
Bei dem dünnen Eis mit Schnee drauf liess es sich nicht vermeiden, dass ich mehrmals meine Eisgeräte auf den Fels schlug und die Funken sprühten. Meine neuen «Russenhauen», die ich gerade am Vorabend montiert hatte, waren leider weit weniger hart als ich dachte. Jedenfalls verbogen sich die Spitzen schnell zu kleinen Wiederhaken, so dass sie sich lästigerweise immer im Eis verhakten beim Herausziehen. Nach etwa 80 m fand ich einen ersten guten Stand und unterwegs konnte ich immerhin zwei verlässliche Eisschrauben anbringen.
Auch die zweite Seillänge sah machbar aus und nach einem kurzen Einwand von Marianus («Du willst da nicht wirklich hoch, oder?») nahmen wir sie in Angriff. Gute Zwischensicherungen liessen sich ab jetzt wieder öfters anbringen. Das war auch nötig, denn die Kletterei war herausfordernder geworden, weil die Tritte immer wieder ausbrachen und man nicht immer guten Halt fand mit den Eisgeräten.
Die dritte Seillänge (nach dem Eiskletterführer L5+L6) bestand aus anhaltend senkrechter Kletterei, teilweise mit ein paar röhrigen und leicht überhängenden Passagen. Was für eine freudige Überraschung, als wir in diesem Teil auf perfektes Eis trafen. Die Kletterei war ein wahrer Genuss. Während sich nebenan die mittlerweile 5 oder 6 Seilschaften gegenseitig mit Eis bewarfen, hatten wir hier unseren Frieden.
Die Ausstiegslänge (L7+L8) war flacher aber auch sehr lohnenswert. Sie endete bei einem Baum, an dem man abseilen kann.
Insgesamt war «Supervisor» sehr abwechslungsreich und spannend zum Klettern. Besonders der anhaltend senkrechte mittlere Teil, welcher einem einiges an Kraft abverlangt, bietet alles was das Eisklettererherz begehrt. Der untere Teil war etwas heikel. Dafür trafen wir weiter oben auf perfekte Eisverhältnisse. Für mich war es einer der schönsten Eisfälle, den ich bisher klettern konnte. Einen besseren Zeitpunkt hätten wir diesen Winter nicht erwischen können für diese Begehung. Bereits eine Woche später war der Eisfall bereits wieder kollabiert.
«Supervisor»
WI6, 270 m
Eisarena, Anlauftal, Gasteinertal, Österreich