Angel Falls
Es war ein ambitioniertes Projekt mit einer aufwändigen Planung. Noch nie zuvor hat jemand versucht, eine Highline über dem höchsten Wasserfall der Welt zu spannen. Um dorthin zu kommen mussten wir erst zu Fuss einen der grössten Tafelberge in Venezuela überqueren. Viele Schwierigkeiten galt es zu überwinden und wir standen immer wieder vor ungelösten Fragen. Würden wir den tagelangen Zustieg durch den Dschungel mit allem Material und Proviant in der knapp kalkulierten Zeit schaffen? Würden wir die erhofften Wetterverhältnisse zu Beginn der Regenzeit vorfinden, von denen schlussendlich der Erfolg unseres Vorhabens abhing? Denn nur wenn es vorher genug lange trocken war, kann man den grossen Sumpf auf dem Weg ohne grössere Schwierigkeiten passieren. Starker Regen und dichter Nebel, in den die Tepuis oft gehüllt sind, können eine Highline-Begehung unmöglich machen. Und doch waren wir spätestens ab der zweiten Woche unserer Reise auf viel Regen angewiesen, weil der Angel Fall am Ende der Trockenzeit praktisch ausgetrocknet ist und damit auch der Fluss darunter kaum Wasser führt. Dies hätte zur Folge gehabt, dass unser einziger Weg aus dem Dschungel auf einem Einbaum, wegfallen würde.
Es war bis zum Schluss ein spannendes Abenteuer auf der Suche nach dem perfekten Highline-Spot inmitten einer atemberaubenden Landschaft. Helmar Fasold hat sich die Mühe gemacht und unsere Erlebnisse grob zusammen gefasst. Keine einfache Aufgabe, bei allem was wir erlebt haben. Der Bericht ist deshalb nicht gerade kurz ausgefallen aber dafür umso spannender geschrieben. Veröffentlicht wurde er ebenfalls auf der Website von Landcruising. Nun viel Spass beim Lesen!
Ich kannte das Projekt seit vielen Jahren, da quasi jeder Highliner schon mindestens einmal ein Auge auf diesen außergewöhnlichen Spot geworfen hat. Man müsse tagelang durch den Dschungel laufen, wilde Tiere, Indianer, absurde Felsformationen, Abgeschiedenheit und Freiheit jenseits jeglicher Zivilisation in Kauf nehmen und so weiter und so fort..
Irgendwann im Februar fragt mich Bernhard spontan, ob ich mir vorstellen könnte, dorthin mitzukommen. Die grobe Planung steht bereits, „nur“ die Feinheiten müssen noch geregelt werden.
„Explora Treks„, im weitesten Sinn eine Reiseagentur, wird uns helfen vor Ort zu kommen. Schon dutzende Male waren sie auf den Tepuis (so nennt man die Tafelberge da) und vor allem sind sie die Einzigen, die sich bereit erklären unser nicht ganz ungefährliches Projekt zu unterstützen. Sie kümmern sich um alle Permits (Einreise mit großer Kamera, Filmrechte und sogar das Abseilen neben dem Wasserfall bedarf einer Erlaubnis), verhandeln mit den geplanten Träger, usw. .
Außerdem werden uns Alex und Alec von „Halsundbeinbruch Film“ begleiten, also die Gleichen, die auch schon am Mönchsbüffel mit uns unterwegs waren.
Als ich dann höre, dass der seltenste aller Highlinefreunde Fabian Rupprecht mitkommt, sage ich schließlich doch ja. In zwei Monaten fliege ich also nach Venezuela. Ich hab noch nicht mal ’nen Reisepass..
Den halte ich auch erst einen Tag vor Abflug in der Hand. Am Arm mit eben dieser Hand klebt noch das Pflaster für die Gelbfieberimpfung. Lieber spät als nie. Auch das Packen stellt uns vor neue Herausforderungen, 2 Beispiele: Daune soll bei der hohen Luftfeuchtigkeit seine Funktion verlieren, also alles schön Synthetik. Warm isses da am Äquator, aber wir werden dauerhaft über 2000 m Meereshöhe sein.. 5° in der Nacht? 10°? 20°? Ist man blöd oder ein Held wenn man die lange Unterhose dabei hat? Wir wissen’s nicht.
Am 9. April, noch vor Sonnenaufgang, sind wir auf den Beinen. Frankfurt-Caracas Direktflug = 10 1/2h voller Thrombose, Freibier, Sitzen in nicht-senkrechter Position und bekannte Filme auf kleinstem Monitor.
Danach dürfen wir aber über eine Stunde stehen, bis die Herren Beamten uns für würdig erachten tatsächlich in ihr Land einreisen zu können. Am Gepäckband fehlt dann Alecs Rucksack. Alle seine Privatsachen sowie die meisten Akkus für die Kameras fehlen somit. Der Rest ist aber zum Glück ungeklaut und in vollständigem Zustand vor Ort.
Vor Ort sind auch unsere Guides für die nächsten Wochen, Henry (Fotograf und der älteste Hase auf dem ganzen Tepui), Kevin und Alfredo sowie Gustavo, der Chef von Explora Treks. Mit einer für südamerikanische Verhältnisse beeindruckenden Geschwindigkeit und Organisation wird gleich wieder eingecheckt, Geld und erste Information getauscht und wir fliegen weiter nach Ciudad Bolivar. Deutsche Zeit ist mittlerweile 3.00 Uhr nachts, entsprechend fühle ich mich. Raus aus dem kleinen Airport, rein in ’nen dicken Landcruiser, Taschen einfach auf’s Dach gelegt und ab geht’s durchs Ghetto zum Hotel. Unsere erste 3-fach-frittierte Fettmahlzeit essen wir noch und danach schwitzen wir uns in den Schlaf.
Richtig da sind wir aber immer noch nicht. Ein Flug steht noch aus, mit einer kleinen Cessna müssen wir an den eigentlichen Ausgangspunkt fliegen. Uruyen, ein kleines Indianerdorf im absoluten Nirgendwo.
Wir frühstücken also noch schnell unsere frittierten Hacktaschen mit gekaffeetem Zucker und der nächste Sicherheitscheck steht an. Aber eigentlich muss man da nur durch den Scanner laufen, der eh immer piept und garnichts aussagt und die persönlichen Sachen werden heute auch mal ohne Röntgenstrahlung auskommen müssen. Nur das Personal macht dauerhaft einen auf wichtig, wenn es nicht gerade auf dem Handy spielt…
Das erste Mal in so einem kleinen Flugzeug ist schon auf seine eigene Art witzig. Sind die Anzeigen samt Tachonadel ausgedruckt, ausgeschnitten und eingeklebt? Warum haben wir bei der Landung mehr Sprit im Tank als beim Start? Wozu dienen wohl die Reißverschlüsse in der Decke? Oh, die Startbahn ist ja völlig uneben, das wackelt aber lustig..
Das fliegen ist laut, aber schön. Erst sieht man die Wellblechstadt von oben, dann geht’s über die Prärie. Immer weniger Häuser, immer weniger Straßen. Dann kommt eine unbewohnte Weite bis zum Horizont. Steppenartiges Grasland, nur an den Flüssen, die überall das Land zerschneiden, wachsen Bäume. Dann kommen Seen, zwischendurch teilt eine Hochspannungsleitung oder ein Feldweg das Gelände. Hinter dem Horizont beginnt dann der Dschungel. Hier und da sticht ein einziger gelber oder rosa Baum aus dem grünen Meer. Eine gute Stunde Flug später ragt der erste Tafelberg vor uns in die Höhe. Als einzige Erhebung weit und breit wirkt der Fels beinahe leicht deplatziert.
Der Pilot steuert uns in Wolken und als wir diese wieder verlassen sehen wir erstmals die Ausmaße des Tepuis. Was auf der Karte eher wie 2 kleine Schluchten aussieht, sind riesige Täler durch die wir bequem mit dem Flugzeug hindurchkurven können. Die Wände sind monströs. Noch nie habe ich so etwas gigantisches gesehen. Was verblasst das kleine Verdon oder die Türme von Meteora gegen massive, oftmals überhängende und scharf geschnittene 1000 m hohe Wände. Ich kann nicht fassen, dass es sich hier um Sandstein handeln soll. Rötlich-schwarz, eigentlich wie spanischer Kalk sieht’s aus. Links, rechts, vorne und hinten umgeben von Fels, den das Auge garnicht komplett erfassen kann. Und man kann noch nicht mal bis ganz oben schauen, da die Wolken so tief hängen. Wir fliegen am Angel Fall vorbei und müssen sehen, dass man nichts sieht. Er führt kein Wasser, oder es ist sowenig, dass das wenige Wasser so weit oben zerstäubt und verfliegt, dass man davon nichts mehr bemerkt.. Das also ist der Schauplatz für unser Projekt.
Wir fliegen weiter und nähern uns Uruyen, einem kleinen, einsamen Örtchen im Stil eines Indianerdorfs. Am Anfang der Landebahn, ein gemähter Acker wenn man so will, liegt ein Flugzeugwrack. Wir überleben aber zum Glück. Die nächsten 2 Tage verbringen wir das aufs-Gepäck-warten mit kleinen Wanderungen und Spielen mit uns völlig unbekannter Flora und achtbeiniger Fauna.
Schließlich kommt das Signal zum Loslaufen, in 2 h soll die Cessna mit dem Rest von Alecs Sachen landen. Blöderweise hatte Fabi mittlerweile bei 40°C sein Fleece angezogen und klagt über Kälte.. auch allgemein sieht er recht scheisse aus, Diagnose: Sonnenstich.
Es hilft aber nix, wir müssen los. Die 2 Tage rütteln bereits an der Zeitplanung. Und so schleppt sich Fabi voran und ich hab mal wieder Übergepäck auf dem Rücken. Die Etappe sollte nicht so anstrengend und nicht so lang sein.. wir treffen nach etlichen zermürbenden Höhenmetern, unzähligen Savannenkilometern und in totaler Finsternis im Camp ein. „Noch 20 Minuten“, tönt es eine Stunde vor unserer Ankunft von den Guides. Fabi (der mittlerweile nur noch apathisch-mechanisch reagiert und läuft) wird mit Alex komplett auf dem Weg zurückgelassen, Bernhard und ich rennen zurück um die beiden durch den Dschungeltrampelpfad zu leuchten..
Kurzes Essen im Camp I, Flüssigkeitsnachschub und wir fallen in die Schlafsäcke. Der Jetlag ist auch noch nicht ganz verarbeitet.
Am nächsten Morgen geht es direkt weiter. 1500 Höhenmeter durch krass unwegsames Gelände mit 30kg Gepäck auf dem Rücken. Apropos, wir werden von 10 (!) Trägern begleitet! Jeder von ihnen wird für 15kg von uns bezahlt, dazu ihr eigenes Equipment. Wer doppelt trägt, verdient auch doppelt, dass lassen sich einige nicht entgehen. Manche sind definitiv noch keine 18 Jahre alt, keiner wiegt selbst über 70kg. Als wäre das nicht genug, tragen sie fast ausnahmslos nur Turnschuhe und Gummistiefel auf dem gesamten Trail. Einer ist sogar mit Crocs unterwegs. Wir finden das ja alles nicht so ganz korrekt, aber Zitat Alfredo: „The Indians are badass!“
Am Ende sind wir auch völlig am Ende. Der Weg will nicht aufhören, ist oftmals über längere Strecken über 30° steil oder man muss über hüfthohe Steinstufen nach oben klettern. Die obligatorischen Fixseilsteilstufen fehlen natürlich auch nicht. Zusätzlich gab es den ganzen Tag über kein Essen. Nach den morgendlichen Arepas (in Fett gebackene Maisfladen, die es eigentlich jeden Tag gibt [von uns liebevoll auch Fetttaler genannt]) mit Thunfisch und Chemo-Cheddar-Creme gab es nichts mehr in den Magen. Der Körper will nicht mehr, ich kann garnicht so viel trinken wie ich schwitze. Irgendwie schaffen wir es aber doch auf den höchsten Punkt des Auyan-Tepui auf 2400m Meereshöhe. Dieser Ort nennt sich El Libertador und ist ein imposantes Konstrukt aus 3 senkrecht bis überhängenden 80-100m hohen Türmen mit ’ner Menge Mondgestein drumherum.
Die nächsten 2 Tage müssen wir nicht mehr laufen, die erste Highline zwischen dem ersten und mittleren Turm steht auf dem Plan, es kann also nur besser werden. Doch weit, weit gefehlt. Die Träger haben unsere Zelte aufgebaut. Eigentlich ja ganz nett, allerdings steht es auf dem einzigen unebenen Fleck Erde weit und breit, das Innenzelt hängt schief drin und sie haben sich auch nicht die Mühe gemacht, vorher Steine oder Stöcke beiseite zu räumen. Außerdem lässt das Abendessen auf sich warten, es soll Steaks mit Kartoffeln geben. Auf Nachfrage erfahren wir, dass die Träger das Zeug noch nicht gebracht haben.. So bleibt es noch für weitere 2-3h (und für den Rest des Trips, denn die Träger haben den Teil mit dem Essen für uns übernommen), bis es schließlich wieder Fetttaler mit Thunfisch gibt. Was solls. Hauptsache Kohlenhydrate.
Am nächsten Morgen rächt sich mein Körper. Mehrere Stunden liege ich auf der Isomatte und kämpfe gegen den Brechreiz an. Ich schaffe es aber nicht ganz.. Gegen Mittag gesellt sich auch Fabi zu mir und so krepeln wir beide mal schwitzend, mal mit Schüttelfrost, aber immer schwer und laut atmend im Zelt herum. Zu allem Überfluss fängt es an zu regnen und wir müssen feststellen, dass unser venezolanisches Plastikhäuschen auch in der Außenhülle Belüftungsnetze hat… Was soll man da noch sagen? Wehren können wir uns selbst nicht mehr und auch von den Vorgängen vor der Tür bekomme ich bis zum nächsten Tag nichts mit. Muss ich erwähnen, dass es diesmal zusätzlich aus körperlichen Gründen für uns wieder nix zu essen gab..? (Ich hör jetz mal relativ auf, davon die ganze Zeit zu reden, es ändert sich nämlich die nächsten Tage nichts, GARNICHTS)
Während unserer Zwangspause gelang unseren beiden Guides Alfredo und Kevin die Erstbegehung des vordersten Felsturms. Es kostet sie 1 1/2 Tage und gestaltet sich weit schwerer als erhofft. Wir verlieren durch alles soviel Zeit, dass wir den alten Plan verwerfen und nun doch vom Massiv aus spannen. Der einsetzende Regen verunmöglichst die Kletterei auf den mittleren Turm innert nützlicher Frist. Wir riggen also von einem winzigen Absatz über einem Vorsprung am Turm zu einer wettergeschützten, kleinen Höhle am Massiv.
Ohne Fehler bauen wir auf und die erste Line steht. 38m Länge und ca. 80m Höhe, wunderschöne Aussicht auf unseren beschwerlichen Weg und n schniket Dschungelambiente zeichnen sie aus. Fabi soll den Anfang machen, aber was tut er sich schwer. Ihm ist saukalt, unablässig zieht Nebel mit hoher Geschwindigkeit auf, vorbei und ab. Ein Go mit nur einem Catch in der Mitte soll sein Bestes für heute bleiben, obwohl er es noch mehrfach versucht.
Dann ich. Normalerweise bin ich ganz gut darin Leistungen von anderen zu ignorieren, aber es wäre schon schön gewesen einen Fabi im Flow vor mir zu haben. Auch ich muss übel arbeiten. Irgendwie erzitter ich mir im xten Versuch den HM durch den Nebel. Sauschwach komme ich dann auch irgendwann wieder auf die andere Seite. Gestern steckt uns noch in den Knochen, besonders peinlich, weil wir anfangs noch große Fresse vor unseren venezolanischen Begleitern hatten.. „Ach, unter 40m! Easy! OnSight!“.. harhar!
Bernhard zeigt dann wie man gesund und ohne Winterpause aussieht. Swami um und losgelegt. Gleich nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Und nochmal mit Tricks..
Am Ende bauen wir erst einen Tag später ab und investieren noch einen Puffertag. Es lohnt sich, denn Fabi läuft frisch ausgeschlafen (6.00 Uhr morgens, vor’m Frühstück) sofort und entspannt ebenfalls seinen FM.
Dann lecker Arepas und Haferflockenmilchpulverwasser und ab geht’s 3 Tage Richtung AngelFall.
Die Landschaft ist atemberaubend außergewöhnlich. Alles ist wie auf einem fremden Planeten. Quasi jede Pflanze dort ist endemisch, der Sandstein nimmt die unerklärlichsten Formen an und alle 60 Minuten ändert sich die Landschaft um 100%. Hier noch auf Sandsteinplatten, dann im Dschungel, dann ist plötzlich alles voll mit Rostklumpen. Wieder Dschungel, aber diesmal sieht es aus wie das Elbsandstein gekreuzt mit Jurassic Parc. Es folgen das Märchenmoor, lange Sumpfpassagen und die „Reisfelder“, das sogenannte „Labyrinth“ inmitten einer faszinierenden Felslandschaft, der mystische „Kolibriwald“, Flüsse die nur ein flaches Steinbett haben und vollkommen gelb-organe sind (wie all unser Trinkwasser). Dazwischen übernachten wir in „Camps“, eher flache, unbewachsene Stellen. Wir laufen jeden Tag 6-8h, die 60km aus der Karte von Uruyen zu den Falls erweisen sich als pure Luftlinie, wir machen sicher das doppelte. Oft kommen wir kaum vorwärts, kämpfen uns durch Äste und Sträucher, geradeaus gibt es eigentlich nicht und auch nur auf und ab, kein eben.
Und kurz vor dem Ziel kommt der „Endgegner“: Über uns, neben uns und vor allem unter uns sind Wurzeln. Manchmal kommt man nur mit größter Gelenkigkeit und Fantasie weiter. Manchmal geht’s auch mit Gewalt.
Nach dem Endgegner kommt die Endstation: das Angel-Fall-Camp. 500m Luftlinie trennen uns noch von dem höchstem Wasserfall der Erde, Laufzeit one way circa 25 Minuten. Wir laufen nicht mehr sofort hin, sondern chillen erstmal hart und versorgen lieber unseren Wunden und müden Muskeln. Die Kameramänner sind durchaus ein bisschen enttäuscht über unser geringes Engagement.. Nachts fängt es erstmals an richtig zu regnen und ein allgegenwärtiger Wind schickt uns trotzdem breit grinsend ins Bett..
Am nächsten Tag ist es dann soweit, wir stehen an der 1000m hohen Klippe und starren in die saugende Tiefe. Der Wasserfall ist immer noch sehr spärlich, doch das was da ist macht durchaus deutlich WIE HOCH das Ding ist. Nach ca. 100m ist bloss noch durchsichtig glitzernder Staub in der Luft. Wir diskutieren die möglichen Spots und einigen uns schnell auf die meist exponierte Variante an 2 hervorragenden Blöcken (es lebe das Wortspiel). Die Frage ist nur, wie kommt man dort hin?, denn der Spot ist 40m unter uns, Abseilstellen rar gesäht. Unsere Guides kennen den Weg auch nicht, selbst sie waren noch nie dort und kennen auch niemanden, der es jemals war. 2 Teams machen sich also auf den Weg durch die vermoosten Schluchten, hier ein Sprung, da ein Kamin, kurze Traverse, über 2 Blöcke, Kamin und noch ein Sprung und Fabi und ich gelangen über ein kurzes Band in die Boulderlandschaft am Anfangspunkt des Salto Angel. Kurze Zeit später erreicht auch Bernhard den unteren Teil der Schlucht. Wir bahnen uns kletternd einen Weg durch das Labyrinth und können uns beide Fixpunkte aus der Nähe anschauen.
Der erste Block ist unglaublich exponiert, überall wächst was und die Felsen sind nass. Wir müssen zusätzlich vorsichtig sein, da wir auch noch nicht wissen ob irgendwo etwas locker sein könnte. Der Weg zum zweiten Block birgt die größte Überraschung des Tages. Fabi sieht plötzlich unter einem Überhang ein aufgerolltes Stahlseil liegen. Wir finden weitere alte kurze Seilstücken und eine 6m lange Metallstange, außerdem eine Art Brustharnisch mit 2 runden Halterungen an der Vorderseite. Am zweiten Fixpunkt können wir eine Stahlseilverankerung ausmachen, die wir später auch für unser Backup verwenden werden. Damit wäre wohl klar, wir sind dann irgendwie doch nicht die ersten hier unten bzw. besser gesagt oben. Es gab vor uns bereits eine Begehung des Angel Fall! Zum Glück sind wir aber immer noch die ersten Highliner vor Ort. Und wir sind alles gelaufen. Und wir nehmen unsere Ausrüstung wieder mit..
Fazit der Erkundung: Beide Blöcke sind uns zu gruselig um sie direkt anzuspannen, immerhin hängt Block 2 zu mindestens einem Drittel in der Luft. Wenn nur ein einziger Block hier in der Landschaft seine Position verändert, würden wir mit Dominoday Extreme in die Geschichte eingehen. Wir werden also den einen als A-Frame benutzen und dahinter in die massive Wand bohren und den anderen Block nur als Umlenkung benutzen, um ihn eher nach innen zu belasten. Eine Möglichkeit das Ganze ohne Bohren über die Bühne zu bringen, sehen wir leider nicht.
Als wir das nötige Equipment holen wollen, realisieren wir einen epischen Fehler. Den Weg von Fabi und mir zurück zu gehen ist quasi unmöglich. Wir haben uns keine Sorgen gemacht, weil wir ja Bernhards Weg nehmen können. Bernhards Weg zurück zu gehen ist quasi unmöglich. Er hat sich keine Sorgen gemacht, weil wir ja unseren Weg nehmen können.. Leise beginnt der Niesel. Es folgt eine längere Befreiungsaktion durch das Labyrinth, Sprünge, Klettern und Menschenbaustellen included. Alex ist uns beim Hinweg unbemerkt gefolgt und hat glücklicherweise vor uns den Rückweg erkundet. Von oben ruft er uns Anweisungen zu. Kräfteverzehrt kommen wir wieder oben an. Immer wieder erstaunlich wie anstrengend es ist, so lange hochkonzentriert in schwierigem, absturzgefährdetem Gelände unterwegs zu sein.
Aber es hilft ja nix, ne? Zeit ist knapp, wir bauen eine Abseile um einen ausgewitterten, 15cm hohen Felspilz mit Buschbackup. Dabei fällt uns auf, dass mein 100m Statikseil glänzende Stellen aufweist und ranzig riecht. Es stellt sich raus, dass einer der Träger es zusammen mit der Butter durch die Sonne getragen hat.. (kleine Nebenanekdote). Wir schaffen es noch das Backup zu legen und Seite 1 einzubohren. Dann kommt die Dämmerung. Gegen 17Uhr ist Rückzugszeit.
Angel-Fall-Tag 2: Das Frühstück war zum Kotzen. Ja, schon wieder Essen. Es gab merkwürdig aussehende Maisbreiröllchen mit Käse aus der Tube und Thunfisch, die noch schlimmer geschmeckt haben als geahnt. Es gibt nur noch Reste. Weiter geht’s.
Das Gestein auf Seite 2 ist entgegen seiner Optik und unserer gesammelten Erfahrung hier extrem beschissen. Keine 10 cm^2 erklingen in einem schönen Pinggeräusch. Wir klopfen sicher eine halbe Stunde vor uns hin, bis wir in einem Spalt fündig werden. Gott sei Dank, alles andere wäre zur Rigging-Odysee geworden.
Mittendrin fängt es an stark zu regnen. Wir müssen eine Stunde unter einem Überhang warten und können dem Wasserstand beim wachsen zuschauen. Unter Hochdruck riggen wir weiter, Zeit ist wie Essen: knapp.
Fehlerlos und zügig kommen wir voran. Als Bernhard das letzte Tape klebt, setzt der Regen noch heftiger als zuvor ein. 3-4h warten wir unter unserem heimisch gewordenen Überhang auf Besserung. Immer mehr Wasser quillt durch die Blöcke und es entstehen Ströme, die gestern noch nicht da waren. Es wird zusätzlich immer lauter, es brüllt uns an, macht Angst und zwingt uns zu schreien, wenn wir miteinander reden wollen. Hoffentlich werden wir nicht irgendwann zusammen mit unserer Langeweile aus der Höhle gespült.
Kein Besserung bis zum Abend, wir müssen ungelaufener Dinge zurück. Dort erwartet uns eine unschöne Überraschung. Fabi und mein Zelt ist klitschnass und ich rede hier nicht von der Außenhülle. Ich rede von allem. Schlafsack und Isomatte, Klamotten, Aufzeichnungen, alles was nicht extra wasserdicht verpackt war. Der Zeltboden hat eine Wassersäule von GARNICHT! Die Nacht wird kalt und feucht. Sobald man die Isomatte verlässt, liegt man in einer Pfütze. Meine Fleecejacke dient als Kopfkissen, erfüllt hier aber nur noch einen ähnlichen Zweck wie ein nasser Hund. Ohne Selbstschütteltrockenfunktion. Als wäre das alles nicht genug, verstecken sich die omnipräsenten Frösche unter unseren beiden Apsiden und sorgen für Stadionatmosphäre. Völlig fertig starten wir in unseren letzten Tag auf dem Tepui.
Die Wolken wollen nicht ganz verschwinden, gönnen uns aber Pausen. Kein Gerede mehr, Ausreden zählen nicht, meine schlechte Stimmung muss ich auch unter Kontrolle bringen. Der Wasserfall ist über Nacht noch einmal doppelt so groß geworden und hat sich in ein gewaltätiges schäumendes Monster verwandelt. Die Line misst zwar nur 25m, aber wir alle waren selten ähnlich beeindruckt. Swami-Bernhard fängt an. Alle sind nervös. Was kann ich noch sagen. FM, OS! Seine Freude ist riesig. Bernhard hatte die meiste Arbeit bei dem Projekt, war immer und trotz allem hoch motiviert und kann jetzt die Früchte ernten. Gleich nochmal hin und zurück, dann wieder Regen.
Fabi is der Nächste. Was soll ich sagen, auch er läuft direkt rüber. Zurück ein kurzer Startcatch, dann fällt aller Druck von ihm ab und er trickst sich elegant rüber auf die andere Seite. Feierabend für ihn. Alles gemacht wofür er gekommen ist. 14 Tage Irrfahrt für 50m auf einer Slackline. Ich liebe es, wenn das passiert und Fabi ist heute nicht nochmal auf der Line zu sehen.
Ich muss aber noch ran. Die anderen beiden haben imposant vorgelegt, Motivation und Druck zugleich. Scheisse bin ich nervös. Nicht wie beim ersten Mal überhaupt, aber wie bei der 3. oder 4. Highline oder sowas. Mein Herz rast. Meine Beine sind weich. Eingebunden schiebe ich mich nach vorne, weg vom Einstieg. Zum ersten Mal gibt es direkte Luft unter mir. Mein Puls explodiert, ich zwinge mich zur Ruhe. Der Blick nach unten sieht eigentlich garnicht sooo schlimm aus. So ungefähr 400m schätze ich. Dann sehe ich genauer hin und merke, dass ich nur auf einen riesigen, bewachsenen Absatz geschaut habe, der sich von oben nur schlecht vom Dschungelboden abhebt. Es geht dahinter noch einmal über das Doppelt weiter. Challenge excepted, Chongozeit. Der Wasserfall peitscht keine 10m links neben mir aus der Wand und verschiebt meine Optik die ganze Zeit nach rechts. Water- und Highline in einem. Die Musik auf meinen Ohren ist auf voller Lautstärke, doch alles was ich hören kann ist das beständige weiße Rauschen des Wassers. Ich konzentriere mich darauf und laufe los. Zitternde Schritte bringen mich OS auf die andere Seite. Ruhigere Schritte tragen mich zurück. Geschafft. Wir sind durch! Wir können nach Hause!
Eine Sache gibt es aber doch noch. Eine Cessna soll Luftaufnahmen von uns machen. Allerdings erst gegen 15Uhr. Jetzt ist es höchstens 11.00. Bernhard spult und spult die Line ab. Mit Brille und ohne, mit Cap, ohne Cap, Trick hier, Trick da. Ich laufe insgesamt noch 3 FM, bis ich mich auch dort oben frei und sicher fühle und sogar umherschauen kann. Noch nie war ein bisschen extravagante Aussicht so aufwendig.
Immer wieder unterbricht uns Regen und undurchdringlicher Nebel, ab 14Uhr wird das der Dauerzustand. Punkt 15Uhr zieht es wieder auf, aber dank schlechtem Wetters in Canaima kann die Cessna nicht starten. Wir warten bis um vier, dann folgt 1 1/2 h Abbau, hochjümarn und zurück in unsere nassen Sachen. Der Regen kennt erneut keine Gnade.
Die Sonne blinzelt kaum auf den Planeten, da stehen wir schon wach draußen, sortieren unser Material und trocknen was das Zeug hält. Ganz reicht es nicht, aber zumindest die Körper werden einigermaßen aufgeheizt. Der Plan ist, dass wir neben dem Wasserfall über die Steilwand abseilen. Da die Träger nicht mitkommen, müssen wir ab hier alles selbst tragen. Schätzungsweise heißt das, circa 40kg pro Person. Allerdings tragen 2 Träger alle Zelte und die Kochausrüstung durch den Dschungel zurück.
Die ersten 5 Abseilen sind wunderschön. Teilweise freihängend mit Blick auf den Talboden und den Wasserfall geht es zügig abwärts. Das Gepäck hängt zwischen den Beinen. Dann wird es immer bewachsener, bis wir eher durch senkrechten Dschungel kriechen, statt abzuseilen. Natürlich immer schön einzeln. Die Seile werden immer dreckiger und verhängen sich an Bäumchen und Wurzeln. 70-80m ist eine Seilstrecke lang und allein das hochheben und in-den-Tube-stopfen wird zur Tortur. Ab Mittag kommt auch unser Freund der Regen zurück. Wir werden zu langsam und der Worstcase tritt ein. Wir müssen, entgegen der Planung, eine Nacht in der Wand verbringen.
In ungefähr der Mitte gibt es einen Biwakplatz unter einem riesigem Felsdach. Es ist der letzte erreichbare Schlafplatz des Tages und so bleiben wir dort. Der Boden dort kennt des Wort „eben“ allerdings nicht und wir müssen auch noch 5h Tag rumbringen. Der Ort trägt übrigens den Spitznamen „Mosquito-Cave“.
Doch etwas positives hat die Situation. Seit 14 Tagen tragen wir nämlich für die beiden Abseiltage Proviant mit uns rum. Eisern und diszipliniert wartet in wasserdichten Tüten ein Wurst-Cracker-Powerriegel-Keks-Schokoladen-Arsenal auf uns. Leider sind es nur kleine Mittagsrationen. Wir dachten Frühstück und Abendessen kommt von den Guides, doch alles Essen ist verbraucht. Als wäre das nicht genug, haben wir natürlich auch nur für den einen geplanten Tag Wasser mitgenommen. Was uns nicht umbringt, macht uns härter..
So früh wie möglich geht es weiter. Immer noch langsam, aber stetig, kommen wir voran. 17 Seillängen liegen letztlich hinter uns, dazwischen und vor uns noch bis zu 40° steile Abstiegspassagen. Das Laufen wird immer quälender. Alle sind am Ende. Guide Henry kotzt irgendwann, Bernhard torkelt und ist völlig apathisch. Die Diagnose lautet Dehydration, die letzten 50ml Wasser landen bei ihm. Es geht für die nächsten 15 Minuten, es muss ja gehen. Wir müssen schon ein seltsames Bild abgeben, als wir schließlich den ersten Touristen begegnen. Die fetten, parfürmierten Sandalisten mit ihren Täschchen und Shorts laufen bergauf zum Wasserfall. Die ausgemergelten, stinkigen Tepuilleros mit völlig überladenen 70l Rucksäcken und zerrissener Kleidung schleppen sich bergab. Bis zum Fluss, die Rettung, unser Ende. Im positiven Sinn natürlich.
Wir geben ab hier alles ab, die Guides und die Indianer verladen uns in ein Boot und bringen uns nach Isla Raton, einem kleiner Stützpunkt im Dschungel. Es gibt ein Festgelage, wir fressen wie die Schweine, bis zur völligen Bewegungsunfähigkeit. Befriedigt setzen wir uns wieder ins Boot und werden nach Canaima geschippert. Eine herrliche Bootsfahrt. Sitzen, kucken, Tapir bei der Flucht bewundern, den Tepui von unten bewundern, entgegen kommenden Touristen winken, mehr nicht. Hier zahlt sich der Regen der letzten Tage aus. Der Fluss ist ebenfalls immens angestiegen. Die Indianer haben für den Hinweg 3 Tage gebraucht. Immer wieder mussten sie anhalten, aussteigen und das Boot durch zu flache Stellen tragen und schieben. Jetzt ist alles befahrbar und in nur 4h erreichen wir unser vorläufiges Zuhause.
Gesagt sei noch, dass wir uns in den kommenden Tagen bis zum Selbsthass vollstopften, in ein paar teure Touristenfallen getappt sind und uns schließlich auch mal ins venezolanische Leben gewagt haben. Eine weitere Highline haben wir noch zu Stande gebracht, davon wird ein weiterer Blogartikel berichten.
In einem der Touristenshops ergattern wir übrigens die einzige Postkarte von dem geheimen Hochseiltänzer. Sein Name ist Michel Menin und er hat das ganze bereits 1987 durchgezogen. Es war damals der höchste Drahtseillauf der Welt.
Was nicht unerwähnt bleiben soll: Die erste schriftliche Erwähnung des Highline-Projekts im europäischen Raum kommt meines Wissens tatsächlich mal wieder von Hannes. Bereits am 12. Juni 2008 (damals war er 15..) postet er im Slackline.at-Forum die Idee. Wer bietet mehr?
Danke noch an alle Beteiligten. Dem einen mehr, den anderen weniger, aber jeder war wichtig und kaum zu ersetzen.
Nein, es ist immer noch nicht vorbei. Wir möchten nämlich noch etwas anregen. Bisher ist es in Highlinekreisen so geregelt, dass der Erste, der eine Line begeht, der Erstbegeher ist. Spätestens bei einer Expedition wie dieser macht das allerdings überhaupt keinen Sinn mehr. Wie bei einer großen Kletterroute oder Bergtour zählt die Seilschaft und nicht der Erste am Gipfel. Alle bringen die gleiche Leistung und sind die Erstbegeher. Oft entscheided ja eh nur, wer Schere-Stein-Papier gewinnt… Aufgrund schlechter Erfahrungen, Geschichten und letzten Endes lächerlicher Streitigkeiten über dieses „Wer-darf-der-Erste-sein“-Thema werden wir also bei künftigen Projekten immer als Team auftreten.
Is doch mal n schönes Schlusswort.