Trollwand – Die höchste Highline der Welt
Die Trollwand ist in Norwegen ähnlich bekannt wie bei uns die Eiger Nordwand. Die sagenumwobene «Trollveggen» ragt 1700 m über die Talsohle und die obersten 1000 m davon sind überhängend. Es ist die höchste Steilwand Europas.
Noch nie zuvor wurde in dieser Höhe eine Highline gelaufen. Alle Highlines in Norwegen, von denen ich Kentniss hatte, wurden in den letzten Jahren bei Kjerag, im Süden von Norwegen, gespannt und galten mit über 1000 m Fallhöhe als die bisher höchsten.
Das perfekte Highline-Projekt also für diesen Sommer. Zusammen mit Stefan Sobata begann ich anfang Jahr zu planen. Wir studierten jedes Foto von dem Ort, das wir finden konnten, in der Hoffnung, eine geeignete Stelle für eine Highline zu finden. Auf keinem der Bilder konnten wir erkennen, ob sich unser Traum von einer Highline dort realisieren lassen würde. Immerhin konnten wir ein paar kleinere und grössere Felstürme am Rand der Klippen ausmachen und damit schien eine Highline nahe an der Wand zumindest plausibel.
Anfang August 2011 machten wir wir uns mit dem VW-Bus von Stefan auf die Reise. Mit dabei war Rémy Bernard aus Lyon und Alex Lauterbach aus Garmisch-Partenkirchen. Stefan war zwei Tage zuvor gerade von einer zweimonatigen Fahrrad-Tour durch Norwegen zurückgekehrt. Eigentlich hatten wir den Trip einen Monat später geplant. Doch weil Julien Millot und Tancrède Mellet aus Frankreich sowie Hugo van Ervel aus Brasilien gerade in der Gegend waren zum Basejumpen, entschieden wir spontan, die Reise vorzuziehen. Der Wetterbericht hatte für die kommenden Tage ein Schönwetterfenster gemeldet und anders als im September mussten wir noch nicht mit Schnee beim Aufstieg rechnen.
Bereits einen Tag später hatten wir alles nötige organisiert. Am Abend sassen wir im VW-Bus, der vollgestopft war mit unserem Kletterzeug, Highlinematerial und Campingausrüstung. Das Abenteuer konnte beginnen.
24 Stunden dauerste die Fahrt von Bern bis zu unserem Lager unterhalb der Trollwand. Wir fuhren abwechselnd in Schichten à zwei Personen, so dass wir fast ohne Unterbruch unterwegs waren. Nur einmal mussten wir länger warten, nachdem wir knapp die erste Fähre verpasst hatten und die nächste wegen starkem Wellengang erst mit Verspätung ablegen konnte. Auf der Überfahrt mit der Fähre zeigte sich, dass auch gut geeichte Highliner nicht gefeit sind vor Seekrankheit.
Planmässig erreichten wir am nächsten Abend das Lager der anderen Highlinern und einigen Basejumpern aus den USA. Sie erzählten uns, dass dies nach zwei Wochen Regenwetter der erste schöne Tag war. Julien und Tancrède waren am Nachmittag ein erstes mal oben beim Troll und konnten ein paar Videoaufnahmen der Klippe machen. Die Wand sah von oben noch eindrücklicher aus. Die beiden waren allerdings skeptisch, ob es einen geeigneten Highline-Spot geben würde. Zudem sei der Stein dort zu brüchig um gute Verankerungen anbringen zu können
Die beiden hatten nur kurz Zeit sich umzuschauen. Auf den Aufnahmen konnte man sehen, dass es entlang der Felskante noch einige, teils schwer zugängliche, Stellen gab, die sie nicht näher angeschaut hatten. Es war also immer noch möglich, dass es irgendwo dort oben doch noch eine geeignete Stelle gab um eine Highline zu befestigen.
Für die nächsten zwei Tage war zwaren gute Wetterverhältnisse vorausgesagt. Danach für längere Zeit wieder Regen. Realistisch gesehen hatten wir also viel zu wenig Zeit zur Verfügung für unser Vorhaben. Selbst wenn wir viel Glück haben und eine geeignete Stelle finden würden, musste alles reibungslos funktionieren. Nur schon an eine aufwändigere Kletter- oder Abseilaktion war in diesem kurzen Zeitfenster nicht zu denken.
Wir entschlossen uns, am nächsten Morgen alle gemeinsam mit dem nötigsten Material aufzubrechen um schnell voran zu kommen. Bis am Abend würden wir wissen, ob wir vergebens zur Trollwand gereist waren. Bis dahin mussten wir zwingend alle Verankerungen für eine Highline eingerichtet haben. Keine einfache Aufgabe für einen Tag, doch da wir ein leistungsstarkes Team waren, blieben wir zuversichtlich, dieses Ziel erreichen zu können.
Tancrède und Julien konnten uns den Weg weisen. Die knapp 1000 Höhenmeter Zustieg legten wir erfreulich schnell zurück. Oben angekommen teilten wir uns auf, um die Klippe nach geeigneten Highline-Spots abzusuchen. Zusammen mit Julien kletterte ich an verschiedenen Stellen hoch. Das Gestein war teilweise sehr brüchig und wir mussten vorsichtig sein, damit uns die Griffe und Tritte nicht ausbrachen beim Klettern.
Es dauerte nicht lange, bis wir eine Stelle fanden, die sich ideal eignete für unser Vorhaben. Direkt am Rand der überhängenden Hauptwand stiessen wir auf eine Einbuchtung, wo sich eine Highline über dem eindrücklichen Abgrund spannen liess. Mit Begeisterung stellten wir fest, dass auf beiden Seiten genug kompakter Fels für Bohrhaken vorhanden war. Wir entschieden uns für eine 32 m lange Line, die auf der rechten Seite zu einem kleinen Turm führte, der genau so hoch war wie die geplanten Verankerungen rechts. Ich steilte mich in die Wand ab, um hinter dem Felsturm Bohrhaken anzubringen. So konnten wir die Line über den Turm umlenken und die Belastung auf ihn gering halten.
Dank perfektem Teamwork hatten wir die Highline in Rekordzeit aufgebaut. Während wir uns um die Turm-Seite kümmerten, übernahmen die Franzosen das Tapen der Line und bereiteten die andere Seite vor. Welch eine Freude, als am Nachmittag bereits eine perfekt aufgebaute Highline über der Trollwand gespannt war!
Ich hatte die Ehre, als erster über diese beeindruckende Highline laufen zu dürfen. Es war der reinste Genuss und ich konnte sie on-sight mit dem Swami durchlaufen. Es war ein erhabenes Gefühl, in etwa 1500 m Fallhöhe über eine Highline zu balancieren. Ich gab der Highline den Namen «24 h».
Den nächsten Tag nutzten wir, um weiter aussen eine zweite, längere Highline zu spannen. Diese war 55 m lang und alles andere als einfach zu laufen. Alex beeindruckte uns alle, als er sie als erster ohne grössere Probleme durchgehen konnte. Auch Julien gelang schliesslich noch eine Begehung. Tancrède konnte sie zumindest in eine Richtung durchlaufen. Ich kam an dem Tag nicht wirklich in die Gänge und meine Augen machten mir grosse Probleme auf der Highline, weil meine Linsen ständig austrockneten.
Viel Zeit blieb uns ohnehin nicht, denn das Wetter drohte zu kippen und wir wollten zumindest die heiklen Stellen des Abstiegs noch bei Dämmerung hinter uns bringen. Bereits am Abend zuvor hatten wir den Weg, und damit einige Stunden, verloren, weil wir in der Nacht die wichtigen Steinmannchen nicht mehr erkennen konnten. Leider gelang es uns auch an diesem Abend nicht, den Abstiegsweg auf Anhieb zu finden, so dass wir erst nach Mitternacht unsere Zelte erreichten. Hugo, der bereits am Nachmittag mit viel Material wieder runter war und die zwei Franzosen, die den ganz direkten Weg nach unten gewählt hatten, erwarteten uns bereits, um unseren gemeinsamen Erfolg zu feiern.
Am nächsten Tag folgten wir Julien und Tancrède nach Kjerag im Süden von Norwegen. Die beiden planten bei den stark überhängenden Klippen über dem Lysebotnfjord ihre erste Baseline, also eine Highline, von der sie mit dem Base-Rig springen wollten, zu spannen. Wir hatten noch einen Tag Zeit, bevor wir weiterfahren mussten, um unsere Fähre nicht zu verpassen. Spontan entschieden wir uns, ebenfalls noch einen Abstecher nach Kjerag zu machen. Als wir die Klippen erreichten, hatten die beiden bereits eine 25 m lange Highline gespannt, welche genug ausgesetzt für eine Baseline war.
Wir fanden etwas weiter hinten eine wunderschöne Stelle für eine 30 m lange und etwa 900 m hohe Highline über dem Fjord, die Stefan auf der Unterseite eines Felsdaches einbohrte. Für das Backup konnten wir Friends einsetzen. Stefan gab ihr den Namen «Renewable Energy». Damit endete unsere kurze aber intensive Reise durch das Land der Elfen, Trolle und Highlines.
am 20. Juni 2012 um 9:46 pm Uhr.
I hope, one more time :D
am 21. August 2012 um 7:51 am Uhr.
Hallo Bernhard,
sehr schöner Blog – spannend erzählt und mit vielen abgefahrenen Fotos ergänzt.
Vielen Dank.
Chris