Bodies in Urban Spaces
Wer hätte gedacht, dass ich einmal Teil einer Kunst-Performance an der Art Basel sein würde? Wer jetzt meint, das hätte ich meinem Medienkunst-Studium an der Kunsthochschule Zürich zu verdanken, den muss ich enttäuschen. In diesem Fall hat sich nicht mein Studium, sondern meine langjährige Erfahrung beim (urbanen) Klettern und Balancieren als äusserst nützlich erwiesen.
«Bodies in Urban Spaces» nennt sich das Aktionskunstprojekt des renommierten Performance-Künstlers Willi Dorner, um das es hier geht. Der Österreicher hatte damit bereits in New York, London, Seoul, Montreal, Istanbul, Paris, Hongkong, Berlin und vielen weiteren Städten die Passanten in Staunen versetzt. Auf ungewohnte Weise werden Zwischenräume im urbanen Raum neu besetzt. Die Stadt wird zur Bühne. Aus bunt gekleideten Darstellern werden temporäre Körperskulpturen, die sich auf skurrile Weise in das Stadtbild einfügen.
So werden Leerräume sichtbar gemacht und zu Leben erweckt, Nischen und Zwischenräume erobert und nach Freiräumen in der Stadt gesucht. Für die Darsteller ist es eine intensive Erfahrung, die architektonischen Gegebenheiten der Stadt neu zu entdecken und mit dem eigenen Körper wahrzunehmen.
Passanten, Einwohner und Zuschauer werden dazu motiviert und ermuntert, zweckfrei ihren städtischen Lebensraum zu begehen und ihn mit anderen Augen als im Alltag zu betrachten. Für den Parcours werden oft Wege und Quartiere ausgesucht, die sonst eher gemieden werden. Die Aktion soll die Wahrnehmung auf den öffentlichen Raum verändern und dazu anregen, sich Gedanken über sein urbanes Umfeld und die eigenen Bewegungsgewohnheiten zu machen. Die Botschaft an die Bewohner ist, dass sie die Gestaltung der Stadt nicht alleine den Architekten und der Wirtschaft überlassen sollen.
Willi Dorner ist es gelungen, diese gesellschaftlich wichtigen Anliegen auf eine verspielte und frische Art zu transportieren. Die Performance kommt verblüffend leicht daher und wirkt überhaupt nicht abgehoben. Selbst Passanten die normalerweise kein Interesse an zeitgenössischer Kunst haben, sind nicht selten von den überraschenden Skulpturen begeistern.
Der Parcours wurde von der Kaserne Basel organisiert und war das Highlight am ZAP!-Festival, das während der weltweit grössten Kunstmesse in Basel stattfand. Die Kaserne Basel war es auch, welche mich angefragt hatte, an der Performance mitzuwirken. An einem Castings wurden insgesamt 22 TänzerInnen, TraceurInnen und ich als Kletterer ausgewählt um an dem Projekt mitzuarbeiten. Ein Teil von uns wurde zudem von der Art Basel engagiert, um im Rahmen der «Art Parcours Night» an einer eigens dafür einstudierten, kürzeren Performance mitzuwirken.
Eine Woche lang erarbeitete Willi Dorner mit uns und seiner Assistentin zusammen den Performance-Rundgang durch Basel. Unter seiner Choreographie zwängten wir uns in Risse, kletterten Hauswände hoch, verrenkten uns, stapelten uns auf Treppen oder liessen uns von Schildern hängen.
Oft war es eine Frage der Körpermasse, ob man längere Zeit eine gewisse Position halten oder sich in eine Lücke zwängen konnte. Manchmal entschieden ein paar Zentimeter darüber. Viele Nischen und Figuren waren den TänzerInnen vorbehalten, weil niemand sonst so beweglich war wie sie. Die Parkour-Crew bewegte sich dafür mühelos an ausgesetzten Stellen und beeindruckte durch ihre Fertigkeiten im Überwinden von Hindernissen. So ergänzte sich das Team perfekt. Ich war beeindruckt von der Professionalität der TänzerInnen und dem Können der TraceurInnen. Dieses hohe Niveau war aber auch wichtig, denn jemand ohne Übung hätte sich bei dem Parcours schnell ernsthaft verletzen können.
Viele der Positionen, die wir über mehrere Minuten halten mussten, waren äusserst anspruchsvoll und verlangten viel Körperspannung. Jeweils am Morgen vor dem Rundgang starteten wir mit einem Konzentrations- und Konditionstraining. Jeden Tag versuchten wir, unsere Positionen ein wenig länger zu halten. Viele der Figuren, die für die Zuschauer einfach aussahen, waren für uns äusserst kraftraubend. Für mich war es eine extreme Herausforderung. Sowohl physisch als auch psychisch.
Am spannendsten waren für mich die Positionen in der Höhe, die man nicht ohne weiteres erreichte. Beispielsweise an der «Art Parcour Night», wo ich und der Tänzer David jeweils zwischen zwei Balkonen mit der Brust eingeklemmt waren und die Arme seitlich am Körper hielten. Um nicht runter zu fallen, durften wir nie ausatmen und mussten während der ganzen Zeit hyperventilieren.
Die schwierigste Position war an einer Häuserfassade, wo ich nur mit den Schultern eingeklemmt war. Ich hatte grosse Mühe, überhaupt in diese Stellung zu kommen. Immer wieder probierte ich, bis es mir schliesslich gelang. Nun musste ich mich mit gestrecktem Körper ein wenig im Uhrzeigersinn drehen und so verharren. Diese Körperspannung konnte ich jedoch jeweils nur ein paar Sekunden halten. Dank einer kleinen Leiste in der Wandstruktur konnte ich die Kante des rechten Schuhs etwa 1 cm aufsetzen und mich so ein wenig entlasten. Weil meine Strassenschuhe dafür zu wenig Profil hatten, probierte ich es am nächsten Tag mit Trekkingschuhen. Als ich es auch so noch nicht schaffte, entschloss ich mich, den Parcours mit Bergschuhen zu rennen. Damit gelang es mir zumindest über drei Minuten die Position zu halten. In dieser Lage eingeklemmt zu sein war vor allem psychisch eine Herausforderung. Denn sobald ich nicht mehr genug Kraft hatte, fiel ich sofort unkontrolliert runter. Selber befreien konnte ich mir aus dieser Position nicht mehr. Meine grösste Befürchtung war, dass ich auf den Zaun direkt unter mir fallen könnte. Deshalb half mir Maurice, ein Traceur, der sich um die Ecke versteckt hielt. Kurz bevor ich mich nicht mehr halten konnte, rief ich jeweils «jetzt!» und er sprang in Windeseile die Fassade hoch, kletterte über ein Fensterbrett zu mir und half mir beim Abstieg. Nur beim letzten Mal wartete ich zu lange und stürzte. Glücklicherweise konnte ich mich dabei im Flug mit den Füssen von der Fassade wegstossen und landete vor den erschrockenen Zuschauern neben dem Zaun.
Links
20 Minuten (14.6.12): «Stadtrundgang mit Parkour»
20 Minuten (16.6.12): «Diese Gruppe sorgt für Verwunderung»
DRS2aktuell: Theaterkritikerin Damgar Walser über die Performance in Basel
Art Parcours Night: Press Images
Crew
Konzept & Choreografie:
Willi Dorner
Choreografische Assistenz:
Esther Steinkogler
Akteure:
Alison Schmid
Andrea Jenni
Bernhard Witz
Chris Harmat
Claudine Ulrich
Daniela Suko
David Hernandez
David Speiser
Désirér Chew
Diane Gemsch
Elena Morena Weber
Flurin Kappenberger
Janine Laube
Maurice Ndotoni
Meieli Jordi
Nizan Kalina
Philipp Hauser
Rachel Tinguely
Rahel Neuenschwander
Rebecca Weingartner
Sabine Pöschk
Zoe Gyssler
Trainingsassistenz:
Sandra Lichtenstern
Kiriakos Hdjiioannou
Produktionsleitung Basel:
Isabelle Schubiger
Tobias Brenk