Jungfrau Nordwand Erstbegehung
Eigentlich dachte ich, die Zeiten seien schon lange vorbei, als man noch lohnenswerte Erstbegehungen machen konnte an bekannten Wänden in den Alpen. Immerhin ist es schon fast 150 Jahre her, als das «Goldenes Zeitalter des Alpinismus» zu Ende ging. Alleine durch die Eiger Nordwand führen mittlerweile über 30 Routen. Umso erstaunter war ich, als ich bemerkte, dass im linken Teil der Jungfrau Nordwand nach dem gerade neu überarbeiteten SAC Clubführer bisher keine Begehungen bekannt sind. Anscheinend wurde auch erst vor kurzen die erste Winterbegehung der Jungfrau Nordwand gemacht, nämlich mit der «Weber/Schaeli-Route» im rechten Wandteil.
Es war ein lange gehegtes Vorhaben von Silvan Schüpbach, im linken Teil der Jungfrau Nordwand die erste Route zu eröffnen. Vor einem Jahr bereits stand er am Fuss der Nordwand, musste jedoch ohne eine erfolgreiche Begehung wieder umkehren. Mitte Februar dieses Jahr hatte es aussergewöhnlich wenig Schnee in der Wand und die Bedingungen für einen erneuten Versuch sahen vielversprechend aus.
Mit der ersten Bahn fuhren wir aufs Jungfraujoch, um von dort aus über den Gletscher abzuseilen. Anschliessend querten wir ein durchgängig steiles Schneefeld oberhalb eines Felsbandes. Der Schnee war alles andere als Trittfest und weder mit den Eisgeräten noch mit den Schuhen fanden wir richtig Halt. Umso vorsichtiger bewegten wir uns in dem heiklen Gelände. Wir befürchteten schon, dass die Verhältnisse in der Nordwand ähnlich schlecht sein würden, was unser Vorhaben bestimmt unmöglich machen würde.
Die Höhe von ca. 3’500 M.ü.M. und das schwere Kletter- und Biwakmaterial für drei Tage im Rucksack bereiteten uns zunehmend Mühe. Zudem hatten wir mit einem unerwarteten Abstecher in eine kleine Gletscherspalte zu kämpfen. Unsere Waden brannten, als wir endlich über ein vereistes Couloir die riesige Gletscherebene unterhalb der Jungfrau Nordwand erreichten.
Bei beissender Kälte (die Höchsttemperatur für diesen Tag lag bei -15 °C) stellten wir im Schatten der Nordwand unser Zelt auf. Obwohl es sich nur um ein leichtes Sommerzelt handelte, hielt es zumindest den Wind ab. Es war nicht die angenehmste Nacht für mich und neben der Kälte plagten mich noch lange Kopfschmerzen. Das wenige Wasser in Pet-Flaschen, welches noch nicht gefroren war, sowie alles weitere, dass am Morgen nicht gefroren sein sollte, nahmen wir zu uns in den Schlafsack.
Als der Wecker um 6 Uhr klingelte, begannen wir Schnee aufzukochen für das Frühstück. Es war kein schöner Moment, als wir bei den frostigen Temperaturen den Schlafsack verlassen mussten. Alle Tätigkeiten brauchten bei der eisigen Kälte deutlich mehr Zeit und es dauerte eine Weile, bis wir unser Frühstück gegessen und das Equipment sortiert hatten.
Eine kleine PET-Flasche mit Cola drin, die ich während der Nacht im Schlafsack vor dem sicheren «Erfrieren» bewahren konnte, wurde innerhalb von 10 Minuten wieder zu einem Eisklotz, nachdem ich sie neben den Rucksack vor das Zelt gestellt hatte. Immerhin konnten wir sie nun als Hering benutzen um das Aussenzelt zu befestigen. So blieb uns nur noch eine halb gefüllte Rivella-Flasche mit dem eben geschmolzenen Schneewasser, das vermischt mit dem Rest Rivella, dem Bouillonwasser vom letzten Abendessen und dem Milchpulver vom Frühstück etwas seltsam schmeckte. Wir tranken es, bevor es auch gefror und sahen ein, dass sich die Anschaffung einer Thermoskanne für ein anderes Mal wohl lohnen würde.
Ausgerüstet mit einem Set Keilen, Schlaghaken, Friends, Eisschrauben und sogar einem Handbohrset, machten wir uns auf den Weg. Bereits am Vortag hatten wir eine Linie über ein Coulouir ausgemacht, die uns direkt zum Ostgrat führen sollte, etwa 100 m unter dem Gipfel der Jungfrau. Der letzte Teil der Route führte durch eine dünne Rinne, die wir von unten nicht einsehen konnten. Wir wussten deshalb noch nicht, ob es uns auch gelingen würde, bis zum Grat oben zu klettern.
Die erste Hürde, eine Gletscherspalte unterhalb der Nordwand, konnten wir erfolgreich überqueren. Nach einer Seillänge in wenig steilem Eis trafen wir auf perfekten Trittfirn, gelegentlich unterbrochen durch Kompakteis. Die guten Verhältnisse erlaubten es uns, parallel weiter zu steigen, so dass wir zügig voran kamen. Praktisch ohne Pause erreichten wir nach etwa 400 m den Einstieg zu einem versteckten Coulour, wo wir auf schöne, teilweise fast senkrechte Eiskletter-Passagen trafen. In einer schmalen Rinne ging es weiter in abwechslungsreichem Mixed-Gelände. Ab hier war die Absicherung in dem teils brüchigen Fels kaum mehr möglich.
Schliesslich erreichten wir nach gut 500 Höhenmeter wie geplant den Ostgrat und konnten uns zu der gelungenen Begehung gratulieren. Viel Zeit wollten wir dort oben nicht verbringen, denn es wehte ein kalter Wind. Mangels Felszacken, um die wir Schlingen hätten legen können, machten wir uns daran, mit dem Hammer eines Eispickels und dem Handbohrer ein Bohrloch in den Fels zu schlagen. Damit waren wir eine ganze Weile beschäftigt. Meine Zehen konnte ich seit dem Morgen nicht mehr spüren, was mir zunehmend Sorgen bereitete. Silvan ging es nicht viel besser.
Dank meinen zwei neuen 70 m Halbseilen mussten wir nur 13 mal abseilen, bis wir wieder zurück beim Zelt waren. Am nächsten Tag stiegen wir zurück zur Jungfraujochbahn, die uns wieder nach Grindelwald brachte. Der Route gaben wir unserer gemeinsamen Herkunft zu Ehren den Namen «Seeländer Couloir». Bis wir unsere Zehen wieder ganz fühlen konnten, ging es dann nochmals gut vier Wochen.
Nachtrag
Robert Jasper hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass er und Daniela Joern Heller die Route bereits 1996 erstbegangen haben. Eigentlich nicht verwunderlich bei dieser schönen Linie. Als ich mit Eisklettern begann, war das „goldene Zeitalter“ der Erstbegehungen in den Alpen leider gerade an sein Ende gekommen. Aber was soll’s.. Dafür werden jetzt halt die lohnenswertesten Highline-Spots in den Alpen erstbegangen :-)
am 27. März 2011 um 7:32 pm Uhr.
boah, jetz find ich dich noch cooler.. :), aber hast ja gesagt es war nicht so schwer..
am 27. März 2011 um 9:18 pm Uhr.
@Meecrob: Also das Aufstehen am Morgen früh bei dieser Saukälte war alles andere als einfach :)
am 18. September 2011 um 8:25 am Uhr.
Hi Bernhard,
diese Route wurde bereits 1996 von Daniela Joern Heller und mir erstbegangen, sorry für diese Nachricht, trotzdem Gratulation!
beste Grüße
Robert Jasper